„Aus der engeren Heimat“, Beiträge zur Weckung von Heimatsinn und Heimatfreude von Konrad Struve, erschienen im Mai 1928
Die Nachrichten über Scharfrichter– und Abdeckerwesen in dieser Gegend muten zum Teil an wie ein Kapitel aus dem finstersten Mittelalter. was wir zum Beispiel über Gefangenenbehandlung, über abergläubische Angst vor der Berührung mit Scharfrichter und Abdecker und die Ausgestaltung einer Hinrichtung zu einem Schaugepränge hören, gibt ein überaus düsteres Bild von dem geistigen Tiefstand der großen Volksmasse; aber auch die sogenannten Gebildeten machen kaum eine Ausnahme und sind noch vollständig in mittelalterlichen Vorstellungen befangen. Es bedurfte erst der Einwirkung des Rationalismus, der vielgeschmähten Aufklärung, um allmählich die Vorstellung von dem Wert des freien Menschentums in den Köpfen ausdämmern zu lassen.
Schon verhältnismäßig früh hören wir von dem Dasein eines Scharfrichters in Elmshorn. Das Amt eines solchen, verbunden mit der Abdeckerei eines bestimmten Bezirks, galt zwar als unehrlich, war aber nichtdestoweniger stark begehrt, da es, wie wir später sehen werden, ziemlich einträglich gewesen sein muß. Da die Umwelt in abergläubischer Scheu möglichst jede Berührung mit dem Abdecker vermied, ist es nicht verwunderlich, daß es ganze Scharfrichterfamilien gab, die untereinander in nahen verwandtschaftlichen Beziehungen standen und daß das Amt selbst sich meißtens in der Familie vom Vater auf den Sohn oder Schwiegersohn vererbte. 1635 erhielt Lorenz Düker in Elmshorn vom Grafen Jobst Hermann von Schaumburg die Konzession für sich, seine Frau und Tochter. Bald kam es zu Streitigkeiten mit dem Glückstädter Scharfrichter Ismael Asthausen, der klagte, daß Dücker in sein Gebiet bis in die Nähe Glückstadts eindringe und ihn in seiner Nahrung schmälere. So wurde verfügt, daß Dücker den Frondienst nur südlich von Elmshorn ausüben dürfte, das Gebiet nördlich von Elmshorn aber dem Glückstädter verbleiben solle.
Vor dieser Festsetzung lag die Fronerei am Flamweg nach Horst zu; jetzt mußte Düker seinen Wohnsitz nach „für den Stegen“ verlegen, wo ihm Holz zur Aufrichtung der Fronerei angewiesen wurde.
Die letzte königliche Bestätigung der Konzession für Lorenz Dücker ist datiert von 29.07.1647. Nach seinem tödlichen Hintritt folgt ihm 1648 sein Schwiegersohn Cordt Meißner als Abdecker im Amt Pinneberg; die Vogtei Ottensen erhielt dagegen sein zweiter Schwiegersohn Andreas Fliegenring. Dem Cordt Meißner folgte sein Sohn gleichen Namens, der aber seine Pflichten sträflich vernachlässigte und sich die meißte Zeit in Krügen herumtrieb; schließlich auch im Jahr 1663 durch kgl. Verfügung entlassen wurde, als er den Peter Boge in der Uetersener Vogtei durch einen Büchsenschuß schwer verletzt hatte, daß er für die Hausmannsarbeit untauglich geworden war.
Nun erhielt am 18.10. 1664 Valentin Fliegenring dessen Familie schon 80 Jahre lang die Abdeckerei in Altona-Ottensen ausgeübt hatte, die ganze Herrschaft Pinneberg und nach seinem Tode im Jahr 1680 sein Sohn gleichen Namens, und als dieser 1694 starb und in Hans Casper Lange einen Nachfolger fand, behielt die Witwe Fliegenring, die in Elmshorn ihren Wohnsitz hatte, die Amtsvogtei Uetersen und einen Teil der Pinneberger Haus- und Waldvogtei.
Um 1700 finden wir Hans Heinrich Feuerschütz als Scharfrichter in Elmshorn. In den Akten über Kriegsschäden durch die dänische Armee protestiert er gegen die Beschädigungen an beiden Seiten seines Hauses und im Garten. Es scheint eine neue Teilung vorgenommen zu sein; denn was die verstorbene Dorothea Fliegenring und ihr Sohn bis dahin von der Pinneberger Vogtei gehabt haben, wird anderweitig vergeben, und da auch der über die Gefangenen zu Pinneberg bestellte Schließer unlängst davon gegangen, richtet Hans Berthold Kellner, Scharfrichter zu Altona und der Herrschaft Pinneberg, ein Gesuch an den König, ihm – wie seinen Vorwesern von alters her – die Abdeckung des toten Viehs in der Amtsvogtei Uetersen, den 7 Dörfern dieseits der Aue und Elmshorn in der Haus- und Waldvogtei Pinneberg zu übertragen. Er macht demnach das Anerbieten , zur Aufsicht über die Gefangenen zu Pinneberg und Abdeckung des toten Viehs einen Halbmeister nebst Knecht nach Pinneberg zu setzen.
Dies wird ihm genehmigt unter der Bedingung, daß er den Unter- oder Halbmeister zu Pinneberg nebst Knecht auf eigene Kosten halte, auch „vor selbige dependire, daß sie aufrichtig mit den Gefangenen verfahren„. Sie sind erstmals von den Pinneberger Beamten in Eid und Pflicht zu nehmen. – Welche Behandlung die Gefangenen unter solchen Umständen von diesen, selbst knapp gehaltenen und der übrigen Menschheit ausgestoßenen Personen erfahren haben mögen, mag jeder sich selbst ausmalen.
Am 28.03.1732 richtet der Landdrost Perckentin an den König die Anfrage, was hinsichtlich der Bestattung des jüngst in Pinneberg verstorbenen Halbmeisters Johann Heinrich Egeling zu geschehen habe. Keiner der Pinneberger Untertanen wollte dessen Körper zu Grabe tragen noch nachfolgen, weil er sich mit der Abdeckerei des toten Viehs bemenget habe. Solcher Fall wie dieser habe sich hier noch nie zugetragen und doch müsse die Leiche wegen der herannahenden warmen Tage bald zur Erde bestattet werden. Da jedermann sich verweigerte, wisse er nicht, wie es mit dieser Beerdigung zu halten sei, ob er auf dem Kirchhof oder daneben zu begraben, ihm auf Verlagen auch die Glocken zu läuten und durch wen er auf den Kirchhof zu fahren und in die Grube zu senken sei. Erst auf erneute Anfrage erging durch Resolution an das Pinneberger Ober-Appellationsgericht am 12. 4. 1732 die Anweisung: „Es ist unserer Wille und Befehl, dem Gevollmächtigten der Landschaft Pinneberg anzubefehlen, die Leiche durch gewisse Leute, die dazu zu bringen sind, in der Stille des Abends unverzüglich nach dem Kirchhof bringen zu lassen.“ Abwärts von demselben hätten sie eine Grube zu graben und den toten Körper ohne Sang und Klang hineinzusenken.
So wurde den Landesbevollmächtigten Joh. Ernst Gash zu Rellingen und Christian Semper zu Kummerfeld der gemessene Befehl erteilt, durch gewisse schlechte Leute in hinlänglicher Anzahl unverzügliche Beiseiteschaffung der Leiche ins Werk zu setzen. (Pinneberg, 14.4.1732)
Das die Vertreter der christlichen Kirchen sich bei diesen skandalösen Vorgängen irgendwie ins Mittel gelegt hätten, erfahren wir nicht.
Und ähnliche Einblicke in die Empfindungen der Volksseele gewähren Akten aus dem Jahre 1738. Die Müllerin von Pein war in ungeheure Aufregung geraten, weil sie einem obrigkeitlichen Strafbefehl erhalten hatte, bei einer Androhung von 30 Rtlr. Brüche die soeben verstorbene Halbmeisterin benebst anderen bereits anwesenden Frauen aus nachbarlicher Pflicht – über die wir bei dieser Gelegenheit interessante Aufschlüsse erhalten – ankleiden zu helfen.
In einem längerem Schreiben begründet sie ihre Weigerung. Sie ist ebensowenig „ zu Kindtaufen noch sonstens einigen anderen Actiby, dergleichen noch der Fronerei halber ebenfalls vorgekommen sein, “ gebeten oder angefragt worden. Sie sei nicht zu denen in der Pinnebergischen Koppelstraße wohnenden Leute zu rechnen, auch niemals dazu gerechnet worden, in dem das Mühlenwasser sie davon separiere. Und es seien nie andere als in der Koppelstraße Wohnende dazu angefragt worden. Weder auf der Dingstätte als auch im Dorf Pinneberg seinen andere Frauen jemals dazu gebeten worden.
1740 ist Johann Andreas Wetzel Halbmeister in Pinneberg. Ihm werden zunächst 20 Rtlr. Schließgeld entzogen, da inzwischen ein ehrlicher Gefangenenwärter als Schließer angenommen ist; später erhält er die 20 Rtlr. doch zugestanden.
In einem Gesuch von 1. 4. 1784 wünscht Halbmeister J. A. Wetzel in vorkommenden Freude- und Trauerfällen „nachbarlich admittiert zu werden“ , indem er betont, daß er da Abdecken schon lange durch die Knechte besorgen lasse. Auf dieses Gesuch, in Freude- und Trauerfällen nachbarliche Hilfe und Handreichungen mitgenießen zu dürfen, erfolgte am 31. 5. 1748 ein abschlägiger Bescheid, desgleich auf das erneute Gesuch vom 27. 3. 1749.
Zuweilen wurde selbst der strengste obrigkeitliche Befehl nicht respektiert, wenn es sich darum handelte, dem Henker bei seiner unehrlichen Handleistung zu tun.
So wäre es bald zu Mord und Totschlag gekommen, als der Pinnebergische Hausvogt die Rellingener Untertanen zwingen wollte, die Leiter an den Galgen zu setzen. Mit bloßem Degen, mit der Pistole, mit Prügeln drang er auf sie ein, verfolgte sie bis in die Häuser und Gärten zu Pferde, aber die erklärten, lieber sterben zu wollen, als bei dieser unehrlichen Hantierung mitzuhelfen. (Zeitschr. 37 S. 109 ST .A. A. XVII 1537, B XI 1.102)
Abschrift von Arno Freudenhammer