Wie sah Elmshorn vor 100 Jahren aus? – Ein Artikel von 1956 in den EN


Von Rektor Konrad Struve



Das schönste der von dem alten Heinrich Lange gemalten Bilder ist das Gesamtbild des Fleckens Elmshorn. Es ist 1854 entstanden, also 100 Jahre alt. Leider kann das Foto nicht den Eindruck des farbigen Originals wiedergeben. Der Künstler hat hier seinen Standpunkt zum Malen sehr geschickt gewählt, nämlich den Dünenabhang südlich der Au bei dem damaligen Dorfe Vormstegen. Der bewaldete Hügel links ist der in der Volkssage wohlbekannte sogenannte Schloßberg.

Vor uns liegt ein breites, grünes Wiesental; es ist der östliche Teil der von der Elbe her sich erstreckenden Tieflandsbucht, die dem Ort wohl den ursprünglichen Namen Elveshörn, Winkel oder Ecke der Elbe, gegeben hat. Vor 100 Jahren grasten hier noch Rinder und tummelten sich junge Pferde, und ein beladener Wagen zeigt, daß man im Tal noch Heu erntete. Von den beiden Auläufen ist nur die „Alte Au“ sichtbar; sie war schon damals völlig verschlickt; einst bildete sie die politische Grenze zwischen der Reichsgraftschaft Rantzau und dem königlichen Vormstegen. Die breite „Neue Au“ unmittelbar an dem Ortsrande ist nur durch zwei Brückenbogen kenntlich gemacht. – Aber nach links hin ist ein wunderliches hölzernes Gebilde sichtbar. Unser Bild ist ein wichtiges Zeitdokument. Es enthält die einzige bildliche Darstellung des großen, 500 Fuß langen Wiesensteges, der sich von Streckers Gang aus nach Vormstegen erstreckte. Er bildete die einzige Möglichkeit, bei Überschwemmung durch Sturmfluten von Vormstegen und Klostersande (im Volksmunde sagte man „Övernstegen“) aus trockenen Fußes nach Elmshorn zu kommen. Es ist der alte Kirchen- und Schulsteig, der von den Kirchspielbewohnern südlich der Au instand gehalten wurde. Jeder Hausbesitzer verbesserte seinen Anteil (Part)so gut oder schlecht wie er konnte; so nahm der Steg mit der Zeit ein ganz buntscheckiges Aussehen an, und es war jedenfalls zur Dunkelheit lebensgefährlich, ihn zu benutzen. Als 1865 die Hauptlandstraße erhöht und beim „Großen Hause“ freigelegt wurde, brach man auch den großen Steg ab.

Das Bild vom Ort ist besonders anziehend. Man versteht, wenn in alten Schriften, z. B. in Camerers „Vermischten Nachrichten“ (II 1762) von dem „schönen“, „ansehnlichen“, „stadtmäßigen“ Flecken die Rede ist und Bolten 1792 die „Anmut und Lebhaftigkeit“ des Ortes rühmt.

Lange hat den Hauptteil des Fleckens, „Alt-Elmshorn“ bei der Nikolaikirche und den Wedenkamp, damals schon die Hauptstraße nach dem neuen Bahnhof, wiedergegeben: Besonders gefällig wirkt die einheitliche Bauart der alten Bürgerhäuser mit ihrem großen Satteldach aus roten Ziegeln. Seit der Königl. General-Brandgilde-Verordnung vom 31. Oktober 1740 durfte kein Haus im Flecken mit einem Stroh- oder Reetdach gedeckt sein. Ein großes Gebäude mit seiner schönen Baumumrahmung fällt uns auf. Es ist das alte Propstenhaus am Wedenkamp, zu dem ein gut gehaltener Garten nach der Au zu gehörte. Alte Nachbarn wußten früher den abendlichen Nachtigallengesang im Propstengarten zu rühmen. 1884 ist das Propstenhaus abgebrochen; an seiner Stelle erstand die Kaiserliche Post.

Nur ein einziger Schornstein (von einer Bäckerei) sendete 1854 eine Rauchwolke in die Luft, sonst war die Luft rein und gesund und, nicht wie heute, geschwängert von dem Qualm der vielen Fabrikschlote.

Aus allen Zügen der Darstellung Langes geht hervor, mit welcher liebevollen Vertiefung er seine teure Vaterstadt gemalt hat; uns hat er damit eine schöne, wertvolle Erinnerung an das Elmshorn vor 100 Jahren geschenkt.


Abschrift aus EN vom 21.12.1956 – Jens Gatzenmeier